Bibliographie
Schon in den ersten Jahren meiner künstlerischen Tätigkeit hatte ich das Thema „Sonntagsbilder“, wenn auch noch unscharf, vor Augen. Der Wunsch, autobiografische Eindrücke in Bilder zu fassen brachte zuerst die Entstehung vieler Familienportraits mit sich. Bei dieser Arbeit beschäftigte ich mich mit dem reichhaltigen Fundus an Fotografien, besonders aus dem Nachlaß meiner Großeltern, viele aus den 30er und 60er Jahren. Diese typischen, schwarz/weißen Familienfotos sprachen mich durch ihren formalen Aufbau an: Instinktiv setzte der nicht professionelle Fotograf das Wichtigste in die Mitte. Die der Darstellung meines Themas entsprechende Form habe ich in der Technik der traditionellen Temperauntermalung gefunden.
Mit dem Hintergrund eines Studiums der Geschichte und der Angewohnheit, grundsätzlich historisch zu denken, entwickelte ich aus diesem Ansatz heraus die von mir so bezeichneten Sonntagsbilder. Zu diesem Titel hat mich auch der Film „Menschen am Sonntag“ (1930) von Robert Siodmak inspiriert, zu der Beschäftigung mit einem stark autobiografischen Thema an sich mein Lieblingschriftsteller Thomas Mann, besonders der Vorsatz seines Buch „Der Zauberberg“, den ich hier wegen seiner Länge nicht zitiere, der es aber wert ist, einmal nachgelesen zu werden. Sein frühes Umfeld und seine Herkunft haben ihn zu seinem Erstlingswerk „Die Buddenbrooks“ inspiriert, seiner Familie hat das nicht gerade behagt. Auch meine Serien von Bildern der 60er und 30er Jahre , die, um mit ihm zu sprechen, „mit historischem Edelrost überzogen“ sind, finden nicht gerade die größten Bewunderer in der eigenen Familie. In der Tat, vom Flower Power der selbst erlebten Sixties ist hier nichts zu verspüren und im Afri Cola Rausch ist auch keiner, statt dessen spießige Faltenröcke mit Clubjacken, sich „schön anziehen“, „nicht schmutzig machen“ etc. Viel Zustimmung finde ich bei Altersgenossen, denen beim Anblick meiner Bilder das familiäre Sonntagsritual samt Sonntagsbraten, dem Anziehen verhaßter „guter“ Kleidung, Besuche bei Oma und Opa , Spazierengehen und vieles mehr wieder einfallen und die daran mit Belustigung und manchmal mit Wehmut zurückdenken.
Die Bilder der 30er Jahre erscheinen spröder und sperriger und erschließen sich nicht so leicht dem Betrachter. Die Arbeit an diesen Serien ist noch nicht abgeschlossen und wird auf zwei Serien 1900 und 2000 ausgeweitet. Bei der Recherche und Materialsammlung für die heutige Zeit stellt man schnell fest, daß es diese Sonntagskultur nicht mehr gibt, weil sich gesellschaftlich und auch in den Familien sehr viel geändert hat. Die thematische und malerische Umsetzung stellt eine Herausforderung für die Zukunft dar.
Jetzt könnte man fragen, warum male ich diese zwar nicht alltäglichen, aber sonntäglichen Trivialitäten? Im Zuge der Rückbesinnung auf das, was kultur- und kunstgeschichtlich vor der Moderne war, haben sich postmoderne Maler in den letzten zwanzig Jahren mit der Historie beschäftigt. Oft mit der Motivation, an den Widerständen und Konfliktpotentialen der von Menschen erlebten Geschichte persönliche Erinnerungen, Hoffnungen und gegenwärtige Bedrängnisse zu beschwören und zu problematisieren. Beispiele sind Jörg Immendorf mit seinem „Cafe Deutschland“ oder Gerhard Richter mit dem Stammheim-Zyklus.
Es gibt auch jüngere zeitgenössische Maler, die sich mit der, nicht unbedingt selbst erlebten, Geschichte auseinandersetzen, zum Bespiel Luc Tuymans (geboren 1958) mit der Zeit des Nationalsozialismus anhand von Bildern von Gaskammer („die Zeit“ von 1988), von Hitler in Rückenansicht oder mit Gemälden, die die koloniale Vergangenheit seines Heimatlandes Belgien thematisieren („Beautiful white men“, 2000). Will man die Vorgehens- und Sichtweise dieser Maler und ihre Bearbeitung der Geschichte und die meinige in eine Relation zu verschiedenen Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft setzen, könnte man sagen, daß diese sich mit der Politik- und Gesellschaftsgeschichte beschäftigen und ich eher einem Bereich zuzuordnen bin, der sich mit der Zeitzeugenschaft einzelner, scheinbar unbedeutender Individuen auseinandersetzt.
Meine Vorbilder gehen jedoch weiter zurück als diese zeitgenössischen, aber doch traditionellen Maler. Von jeher kunstgeschichtlich interessiert, habe ich viel Zeit mit der altniederländischen Malerei, besonders mit dem Meister von Flemalle und dem von mir besonders geliebten Jan van Eyck verbracht. An Jan van Eyck bewundere ich besonders die Statik, die Zeitlosigkeit, das „Schweigsame seiner Kunst“ (Otto Pächt). Mit dem eben genannten Luc Tuymans verbindet mich die Vorliebe für „stille“ Bilder. Diese Stille beziehe ich nicht nur auf den Inhalt. Licht und Schatten ziehe ich der farbigen Erscheinung vor, Lichtsättigung ist mir wichtiger als Farbsättigung. Ich male aus der Mitte heraus und versuche, die dargestellten Personen zu isolieren, gleichsam einzufrieren.
Mit meinen Bildern möchte ich nicht ein historisches Ereignis, eine Epoche meines oder anderer Leben oder ganz einfach nur ein nettes Familienbild zeigen. Wenn es mir gelingt, den Zeitgeist einzufangen, bin ich zufrieden, aber eigentlich will ich mehr. Die Kraft eines Bildes liegt für mich in der Überzeitlichkeit, die das individuelle, abgeschlossene und einsame Sein überwindet. Zeitlosigkeit liegt außerhalb der geschichtlichen Realität.